Interview

Dem Winter auf der Spur

Das Berliner Unternehmen Wettermanufaktur analysiert das Wetter, verwertet die neuesten Daten zu Prognosen und verfasst Wettertexte. Seinen Kunden bietet das Unternehmen eine 24-Stunden-Wetterberatung an, um bei wetterkritischen Situationen schnell die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Im Interview erläutert der Messtechnik-Experte Simeon Neumann wie Winterdienste von den Wetterdaten profitieren können.

Bedeuten zunehmend schneearme Winter auch weniger Einsätze für Winterdienste?
Simeon Neumann: Entgegen der landläufigen Meinung treten Glättesituationen nicht nur bei Schnee auf. Bei milderen Wetterabschnitten kommt es bei nächtlichem Aufklaren häufig zu Reif und gefrierender Nässe. Dies erfordert eine erhöhte Ruf- und Einsatzbereitschaft der Winterdienste. Ob es glatt wird oder nicht, hängt von der Temperatur der Straße, Brücke oder des Rad- bzw. Fußweges ab. Zahlreiche Faktoren wie z. B. Topografie, Bebauung, Vegetation, Art und Beschaffenheit des jeweiligen Belags beeinflussen die Belagstemperatur. Ist eine Straße eng bebaut, kühlt sie sich in der Regel nachts weniger stark ab als andere Abschnitte. Auch Bäume am Straßenrand dämpfen den nächtlichen Temperaturrückgang. In windgeschützten Senken und Muldenlagen hingegen kommt es zu einer intensiven Abkühlung an der Straßenoberfläche. Die Parameter, die die Glätteentstehung beeinflussen, können auf kleinstem Raum sehr unterschiedlich sein.

Können Sie das anhand eines Beispiels verdeutlichen?
Simeon Neumann: Präzise lokale Messungen, die kleinstrukturierte Daten zum Mikroklima erheben, helfen, detaillierte Aussagen für den Winterdienst abzuleiten. Hier ein konkretes Beispiel für Winterthur in der Schweiz: die Belagstemperatur variiert bis zu fast 4 °C zwischen Stadtrandlagen und Innenstadt. Innerhalb der Stadt sind die Brücken 1 bis 2 °C kälter im Vergleich zu den Umgebungsstraßen. Große Autobahnbrücken sind nur geringfügig kälter.


Thermische Vermessung der Straßen in Winterthur

Welche spezielle Messmethode bietet die Wettermanufaktur?
Simeon Neumann: Um besonders glätteanfällige Streckenabschnitte zu identifizieren und zu dokumentieren, empfiehlt sich eine thermische Vermessung. Mit diesem Verfahren messen wir genau dort, wo Glätte entsteht. Dazu werden an Pkw mobile Sensoren installiert, die u. a. die Fahrbahntemperatur in einer hohen zeitlichen Auflösung erfassen. Voraussetzung für die erfolgreiche Durchführung sind bestimmte Wetterlagen, bei denen eine ungehinderte Wärmeabstrahlung vom Boden hin zur Atmosphäre möglich ist und sich die Temperaturunterschiede auf den verschiedenen Streckenabschnitten deutlich ausprägen. Temperaturen im leichten Frostbereich, wolkenloser Himmel und Windstille sind dafür ideal. Messfahrten sind für ausgewählte Routen bis hin zu großräumigen Gebieten möglich. Erst kürzlich haben wir im Auftrag der Baudirektion des Kantons Zürich (Tiefbauamt/Straßeninspektorat) ein Straßennetz von zirka 1.500 km vermessen.

Worin besteht der Vorteil einer Temperaturvermessung?
Simeon Neumann: Auf Basis der Messdaten erstellt unser meteorologisches Team eine qualifizierte Auswertung zu den besonders glätteanfälligsten Punkten und Strecken. So können die Erfahrungen der Winterdienst-Verantwortlichen bestätigt und zugleich weitere kälte- und glätteempfindliche Abschnitte im Einsatzgebiet ermittelt werden. Diese neuen Erkenntnisse helfen Tourenplanungen zu optimieren, gefährdete Abschnitte zuerst abzufahren und zielgerichtet zu streuen. Ferner geben wir auch konkrete Standortempfehlungen zum Aufbau bzw. zur Verdichtung eines lokalen Messnetzes mit Straßenwetterstationen. Für die Baudirektion des Kantons Zürich haben wir verschiedene Szenarien in Bezug auf Budget, Anzahl und Ausstattung der Glättemeldeanlagen erarbeitet.

Weitere Informationen
Wettermanufaktur GmbH
D-12103 Berlin
www.wettermanufaktur.de